04.07.2010 - zurück in Europa

Chineevo - Tscheljabinsk - Sim - Ural 593 km

Wir sind wieder in Europa! Die ca. 350 km bis hierher vergingen sehr schnell, obwohl es sehr heiß war – beim Start waren schon 29°, was sich im Laufe des Tages noch auf 35° steigerte. Aber die Straße war gut ausgebaut und im gut fliesenden Verkehr konnten wir so schnell fahren, dass der Fahrtwind der Hitze den Schrecken nahm. Als dann nach gut 250 km die Ebene mit ihren schnurgeraden Straßen endlich begann in eine Hügellandschaft überzugehen, in der es auch wieder mal Kurven gab, machte auch das Fahren wieder Spaß.

Überall am Straßenrand versuchen die Leute etwas zu verkaufen. Auf umgedrehten Kisten, kleinen bis großen Verkaufsständen, Motorhauben oder direkt auf dem Boden wird alles angeboten, was verspricht von vorbeieilenden Reisenden gekauft zu werden. Da gibt es frisch gesammelte Pilze oder Beeren, in Gefäßen am Straßenrand stehend, während der Anbieter bereits Nachschub im Wald sucht. Ebenso alle Arten von landwirtschaftlichen Produkten, meist angeboten von alten Menschen, die wohl viele Stunden hier hinter ihrer Kiste oder im Auto sitzen um ein wenig dazuzuverdienen. Aber auch Tee aus dem rauchenden Samowar, frisch gegrilltes Fleisch und andere Leckereien kann man erstehen. Was ich nicht verstand, sind die auf manchen Streckenabschnitten ca. alle 1 bis 2 km stehenden Verkaufsstände mit einer Unzahl von unterschiedlichsten Arten von Luftmatratzen, Schwimmreifen und Luftbooten. Der Verwitterungszustand mancher Ware lies vermuten, dass sie schon Jahre auf einen neuen Besitzer warteten. Auf Grund der Vielzahl der Angebote und dass wir nur selten jemand sahen, der davon am Straßenrand gebraucht machte, denke ich, dass die Mühe der Verkäufer oft umsonst ist und dass es wohl sehr schwierig sein muss, hier das zum Leben notwendige Geld zu verdienen. Ein Glas Blaubeeren, gekauft von einem Mann am Straßenrand, verputzte ich als Mittagessensersatz.

Der erste von mehreren Gebirgskämmen, die wir überquerten, bildet die Grenze zwischen Asien und Europa. Ab hier erhöhte sich die Verkehrsdichte auffällig schnell. An ein schnelles Vorankommen war auf Grund der vielen LKWs bald nicht mehr zu denken, zumal auch der Straßenzustand schlechter wurde. Gefährliche Spurrinnen, oft auch durch sehr grob zur Fahrtrichtung abgefräste Straßen hervorgerufen, forderten aufmerksames und vorsichtiges Fahren. Kurz sahen wir 4 uns entgegenkommende Biker mit einer Ausrüstung ähnlich unserer. Wie wir später erzählt bekamen, 4 Deutsche auf dem Weg in die Mongolei.

Leider sahen wir den Ural nur aus der Perspektive vom fahrenden Motorrad auf der Hauptstrasse M5. Trotzdem bleibt der Eindruck, dass diese schöne Gebirgslandschaft mit seinen Wäldern und Wiesen, Dörfern und Feldern, Flüssen und Seen, eine eigene Reise wert ist. Ehrlich gesagt, war ich genervt, dass wir nach Tagen der Eintönigkeit diese abwechslungsreiche Landschaft einfach so, fast ohne Pause, durcheilten. An einem schönen See nötige ich daher meine Freunde zu einem Badestop. Leider hatte das Materialverlust bei Hendrik zur Folge. Beim Überfahren einer versteckten Plane rutschte er weg, stürzte, schlitzte sich seine Sitzbank auf und beschädigte einen seiner Alukoffer. Aber auch Andere hatten bei dem starken Verkehr und der Hitze so Ihre Probleme, wie wir immer wieder im Vorbeifahren beobachteten. Reifenpannen ohne Ende – einer Frau war dabei der Wagenheber weggerutscht, ein vom Fahrer völlig zerlegter LKW-Motor, ein PKW unter einen Laster gefahren – zum Glück niemand schwer verletzt, eine Frau, die am Straßenrand von Ihren Mitfahrern wieder zu sich gebracht wurde – hatte wohl im unklimatisierten Auto einen Hitzschlag bekommen, usw. … Und dann ging nichts mehr. Fast hatten wir die Durchfahrt durch den Ural geschafft, stand alles. Bei einem Brückenneubau war nur eine Fahrspur befahrbar, die mit Ampel geregelt wurde. Bei dem Verkehr hatte das natürlich einen viele, viele km langen Stau zur Folge. Praktisch bewegte sich gar nichts mehr. Ich glaube dort haben die meisten bestimmt einen halben Tag zugebracht. Zum Glück fuhren wir Motorrad und schummelten uns vorbei, haben aber auch bestimmt eine halbe Stunde gebraucht, bis wir vor der Ampel standen.

Danach nahm zwar der Verkehr ab, aber schnell hatten wir wieder mehrere LKWs vor uns, die bei den vielen Kurven und dem Gegenverkehr nur schwer zu überholen waren. Und dann, durch ganz Sibirien von der Miliz nicht angehalten, hat es uns doch erwischt. Mit lässig baumelndem Verkehrstab bedeutete uns ein langsam über die Straße laufender Milizionär anzuhalten, zugegeben, zu Recht. Am Rand des Gebirges, endlich eine lange Gerade, haben Torsten und ich alles, was die ganze Zeit da so nervend vor uns rum fuhr mit einem Schlag überholt, mit einiges über 140. Kurz darauf sind sie alle wieder an uns vorbeigefahren. "Eingeladen" in den Streifenwagen erklärte uns der freundliche, junge Polizist, dass unsere Fahrerlaubnis bei der Geschwindigkeit verwirkt ist, ohne uns die genaue Höhe unseres "Rekords" mitzuteilen. War auch nicht nötig – auf jeden Fall zu schnell. Der internationale Führerschein hat ihn überhaupt nicht interessiert, nur "Plastik" zählt. Dass er die Führerscheine auf der Mittelkonsole liegen lies und sich auch nicht wehrte, als ich die Karten von dort einfach wieder wegnahm, signalisiert, dass es aber auch ein andere Lösung gibt. Sollten wir im Handschuhfach 1000 Rubel (ca. 30 Euro) versehentlich ablegen, hätte er wohl wichtigeres zu tun. Sprach´s und stattet erst mal Hendrik eine Besuch ab, um zu überwachen, dass der die inzwischen geschossenen Fotos auch brav alle wieder löschte. Danach zurück zum Auto, kurzer Blick ins Handschuhfach und wir konnten weiterfahren. Schnelle Abwicklung, alle zufrieden. Ich hatte mir das schlimmer vorgestellt und wir waren gewarnt. Die Milizdichte war in Europa wesentlich höher, bei dem Verkehr wohl auch zu Recht.

Der hervorragende Rastplatz war der krönende Abschluss dieses anstrengenden Tages. Hier stimmte alles: Schöner Fluss mit warmem, klaren Wasser und Kiesstrand, guter Zeltplatz mit vorbereiteter Feuersteller und bereitliegendem trockenem Feuerholz. Wir waren uns einig, hier müssten wir eigentlich ein oder zwei Tage bleiben. Wenigstens nutzten wir die Stelle zum ausreichenden Baden, Wäschewaschen und Erholen. Ein vorwitziges Mäuschen fand unser Lager auch ganz gut und wollte unbedingt in einem unserer Zelte übernachten Am gemütlichen Feuer genossen wir die warme Sommernacht.

 
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